Hallo Wüstenwanderer,
wie schnell die Zeit doch vergeht. Kaum hat man seinen Fuß auf einen anderen Kontinent gesetzt, sieht man sich schon wieder zu Hause sitzen und die Urlaubsbilder sortieren.
Dieses Jahr trieb es mich wieder nach Siwa in die Libysche Wüste. Bepackt mit meinem Rucksack und Wasser für sieben Tage machte ich mich auf den Marsch in das Sandmeer.
Zunächst einige Daten:
Dauer: 7 Tage
Gesamtgewicht des Rucksacks: 30 Kilo davon 18 Liter Wasser
Zurückgelegte Strecke: ca. 85 km
Siwa: Wüstenwanderung durch die Grosse Sandsee
Der Aufbruch:
4:00 Uhr. Der Wecker meiner Armbanduhr piepste leise aber eindringlich. Eigentlich war das Stellen des Weckers unnötig gewesen. Viel zu sehr war ich aufgeregt und gespannt auf meine Tour. Ich warf mir den Rucksack um, legte meinen Zimmerschlüssel auf den Tresen der verlassenen Rezeption und machte mich auf den ca. 2,8 Kilometer langen Weg, heraus aus Siwa in eine andere Welt.
Es war noch dunkel. Der schmale, abnehmende Sichelmond hatte schon begonnen, den Horizont zu erklimmen und spendete nur spärliches Licht.
Erst später erhellte auch die aufgehende Sonne das Terrain und ich musste feststellen, dass ich im Dunkel wohl eine Düne zu früh abgebogen war, aber mich immer noch auf richtigem Kurs befand.
Eine tote Gottesanbeterin: Was war geschehen? Mangelnde Nahrung oder Wasser? Altersschwäche oder stand sie an diesem Tag doch nicht am Ende der Nahrungskette? Die Antwort darauf weiß wohl nur der Wind, der unaufhörlich über die Sandebenen fegt und schließlich den leblosen Körper in alle Richtungen zerstreuen wird.
Mit zunehmender Hitze werden Felsen im Laufe des Tages zu willkommenen Schattenspendern. Zeit genug für eine Rast und zum Verschnaufen.
Weite Sandebenen wechseln sich mit Hügeln und Bergen ab, die noch vor Millionen von Jahren am Meeresgrund von Fischen und Korallen bewohnt wurden.
Ein Tag neigt sich dem Ende zu. Die Sonne nähert sich dem Horizont, die Schatten werden länger und es wird Zeit eine passende Stelle für ein Nachtlager zu finden.
Aufgrund eines starken Sandwindes, der die Sandkörner am Boden entlang peitscht, errichte ich innerhalb einer Felsgruppe mein Nachtquartier. Höhlen und Spuren von Schlangen und anderem Krabbelgetier kann ich nicht finden, was etwas beruhigend auf mich wirkt. :wink:
Hinter einem Felsen vergrabe ich zwei Flaschen Wasser, die ich auf dem Rückweg wieder einsammeln werde. Dadurch verringert sich das Gewicht des Rucksacks etwas, das in den ersten Tagen doch deutlich zu spüren ist.
05:00 Uhr. Orion, der Himmelsjäger, hatte schon seinen Zenit überschritten und der neue Morgen kündigte sich im Osten bereits an. Ich verstaue Schlafsack und Decke im Rucksack und mache mich mit schwerem Gepäck weiter in Richtung Südosten.
Wer meint, die Wüste sei eine leblose und trostlose Gegend, der wird eines Besseren belehrt, wenn er am Morgen die zahlreichen Spuren von Käfern, Eidechsen, Schlangen, Skorpionen, Spinnen und noch viel mehr entdeckt. In der kühlen Nacht spielen sich im Schutze der Dunkelheit manche Überlebensschicksale ab. Wer frißt wen? Wer wird das Licht des nächsten Tages sehen?
Mein Weg führt weiter von einer höher gelegen Ebene in eine Tiefebene. Das Grundwasser scheint hier näher an der Oberläche zu fließen. Pflanzen, Büsche und Palmen bilden einen angenehmen Kontrast zu den Beige- und Okkertönen der Wüste.
In der Ferne erblicke ich die erste große Dünenkette, die es zu überqueren gilt. Von dem Satellitenbild hatte ich sie wesentlich kleiner in Erinnerung. Darüber mit meinem schweren Gepäck? Vor meiner Reise zog ich mir eine Schulterverletzung zu, die mir schon zu schaffen machte. Was tun?
Ich beschließe, meinen Rucksack unter Palmenbüschen zu verstecken und das Terrain erst ohne Gepäck zu erkunden. Als ich meinen Rucksack sorgfältig unter den Palmenblättern verstaut hatte, stellte ich mir unwillkürlich die Frage, vor wem versuche ich mein Gepäck zu verbergen? Es gibt weit und breit weder Fuß- noch Reifenspuren. Ich schüttle über meine übertriebene Vorsicht selbst den Kopf. Wenigstens liegt der Rucksack nun im Schatten 8)
Ohne das belastende Gepäck - nur mit zwei 2,2 Liter Feldflaschen ausgerüstet - mache ich mich auf den knapp 4 Kilometer langen Weg in Richtung Dünenkette.
Die Wanderung dauert länger als veranschlagt. Zu interessant sind die Spuren, Tiere und Pflanzen, auf die ich treffe. Ich passiere einen Palmenbusch. Aus dem Augenwinkel erkenne ich etwas in Schulterhöhe, das sich durch die Palmblätter schlängelt. Ein dumpfer Aufschlag auf den trockenen Boden. Ich sehe nur noch wie eine etwa 60 cm lange Sandrennatter versucht, einen kleinen Sandhügel zu überwinden, um schließlich im Unterholz zu verschwinden. Offensichtlich war es die Schlange, die diesesmal in Panik das Weite suchte.
Die Sandrennatter besitzt zwar ein wirksames Gift, mit dem sie ihre Opfer tötet. Für den Mensch ist das Gift aber relativ ungefährlich und kommt aufgrund der weit hinten im Rachen stehenden Giftzähne gegenüber Menschen eher selten zum Einsatz.
Am frühen Vormittag erreiche ich die Dünen. Meine Vermutung bestätigt sich. Mit dem schweren Gepäck und den Schulterproblemen ist es ratsam, die Dünen zu meiden. Dennoch klettere ich auf die höchste Erhebung und verbringe über eine Stunde damit, die Aussicht zu genießen.
Da ich die geplante Strecke aufgebe, muss eine Alternative her. Und die ist bald gefunden:
Bir Wahed.
Im Einklang mit mir und meiner Entscheidung trete ich den Rückweg in Richtung Rucksack an. Der Tag beabsichtigt sich zu Ende zu neigen. Daher beschließe ich, mir ein Nachtlager zu suchen, weit entfernt von den Büschen und Hügeln, die Behausung für allerlei Getier. Ich hatte immer wieder Schlangenspuren entdeckt. Den nächtlichen Besuch einer der Kaltblütler wollte ich unbedingt vermeiden.
Schnell brach die Nacht herein mit ihren Millionen von Leuchtpunkten am Firmament. Ich versuche die zahlreichen Sternschnuppen zu zählen, komme aber nicht mehr weit, da mich der Schlaf einholt.
Da sich durch die Änderung meiner Route auch der Rückweg geändert hat, breche ich auf noch bevor das Tageslicht die Nacht verdrängt, um meine versteckten Wasserflaschen, die ich zurück gelassen habe, wieder aufzunehmen. Von dort geht es dann nach Westen, direkt Richtung Bir Wahed.
Die Strecke führt teilweise über harten Kalkboden, vor allem aber über Sandebenen mit guter Tragfestigkeit. Eine höhere "Taktzahl" ist hier ohne Probleme möglich. Zunächst wird man nur selten von Dünen gebremst.
Die aufgehende Sonne hatte die Sterne schon erblassen lassen, so dass ich schon ein Stück weiter sehen konnte. Die Farben des Sandes wurden intensiver. Etwa 1,5 Kilometer vor mir erkannte ich einen Fels oder Berg mit einem, wie mir schien, Loch in der Mitte. Ich beschließe das rätselhafte Objekt näher zu betrachten.
Ich vermutete, dass es sich um eine der Naturbrücken handelt, die Wind und Sand über Jahrhunderte aus dem Fels geschliffen haben. Als ich an diesem Naturwunder ankam, entpuppte sich der Fels als ein bizarres Gebilde, bestehend aus drei Hauptbögen, die sich fast ineinander verflechteten. Ein alter Korallenstock, der zum Spielball von Wind und Wetter geworden war.
Wie an einem Portal in eine andere Welt stehe ich dort und bin beeindruckt von der Aussicht und dem morgendlichen Farbenspiel. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit stehen bleibt. Doch die Schatten wandern unaufhörlich weiter ....
Man könnte Tage an so einem Ort bleiben, doch auch hier arbeitet die Zeit gegen dich und du musst weiter, deinem Ziel entgegen. So reiße ich mich los, denn es sollte ein heißer Tag werden.
So lange der Wind stetig bläst ist die Hitze gut auszuhalten, ja sogar angenehm. Nur manchmal, urplötzlich, besonders um die Mittagszeit, hört die Kühlmaschine auf Kühlung zu spenden. Die Hitze in so einer Sandebene, die sich mehr und mehr aufheizt, kann kritische Temperaturen annehmen.
In den Morgenstunden sind die Temperaturen noch angenehm,
doch im späteren Verlauf des Tages ist man dankbar für jeden sich bietenden schattigen Ruheplatz.
Ich liege im Schatten mit dem nackten Rücken auf dem Sand. Ich wundere mich. Der Sand ist von der Nacht noch sehr kalt, es fröstelt mich sogar. Aber im Hinblick auf die Hitze in der Sonne beschwere ich mich nicht ;-)
Ein weiterer Schattenspender, um die Mittagszeit zu überbrücken:
Im Schatten ist es angenehm kühl und er reduziert den Wasserbedarf.
Es ist Nachmittag und die Sonne steht schon jenseits des Zenits am Himmel. Dennoch gönne ich mir eine kleine Pause. In der Ferne höre ich einen Motor. Ein Fahrzeug? Der Lärm wird immer lauter. Ich kauere mich in die Felsen, um nicht gesehen zu werden. Ein Geländefahrzeug mit Touristen fährt hinter dem Hügel vorbei. Hoffentlich haben sie mich nicht entdeckt, denke ich mir. Aber es sieht gut aus. Bis dass der Motorenlärm wieder lauter wird. Der Wagen fährt nun eine Ehrenrunde um den Felsen. Die Touristen Film- und Fotokameras auf mich gerichtet, feuern sie gleichzeitig auf den irren Wanderer, der sich freiwillig diesen Strapazen aussetzt. Was wissen die schon, was ihnen entgeht! So werde ich unfreiwillig zur Touristenattraktion.
Weit am Horizont zeigt sich eine Dünenkette, die ich überwinden muss, um zum Bir Wahed zu gelangen. Diese Dünen möchte ich heute noch erreichen, um dort mein Nachtlager zu errichten.
Bei den Dünen angekommen, werfe ich meinen Rucksack ab und klettere auf die Dünen, um mit den letzten Sonnenstrahlen das Farbenspiel zu genießen.
Am nächsten Tag werde ich vom Gipfel der höchsten Düne Bir Wahed sehen.
Irgendwie schaffe ich es heute nicht, vor dem Sonnenaufgang aufzustehen. Mit anderen Worten: ich habe verschlafen :oops: Schnell packe ich meinen Schlafsack und Decke ein. Die Feldflaschen hatte ich schon am Vortag aufgefüllt. Mit den ersten Sonnenstrahlen geht es über die Dünen.
Vom Gipfel der Düne sieht man bereits in ca. 2 km Entfernung Bir Wahed (Hot Springs)...
... und etwas rechts davon den See (Cold Springs), der unterirdisch vom Bir gespeist wird. (mehr über die Entstehung und Geschichte von Bir Wahed gibt es
hier) Zunächst wandere ich zum See. Dort werde ich den Rest des Tages verbringen, den geschundenen Knochen etwas Erholung gönnen und die Ruhe genießen. Ruhe??? Bis zum frühen Nachmittag mag das zutreffen. Ich bin alleine mit ein paar Fischern, die am Vormittag eintreffen und den Barschen und Spiegelkarpfen nachstellen. Doch am späten Nachmittag treffen aus Siwa die Touristenströme ein.
Erst kurz vor Einbruch der Nacht löst sich der Besucherstrom auf und ich finde die ersehnte Ruhe.
Frühmorgens breche ich in Richtung Bir Wahed (Hot Springs) auf. Zunächst geht der Anstieg über eine Düne. Ich versuche möglichst die weichen Passagen zu vermeiden, was mir nicht immer gelingt. Der steile Anstieg macht sich in den Waden bemerkbar. Kurz vor dem Dünenkamm wird der Sand wieder härter, der Anstieg aber steiler. Mit einigen schnellen Tippelschritten bringe ich den kraftraubenden Akt hinter mich.
Auf dem Dünengipfel erkenne ich nun das Paradies in der Wüste: Bir Wahed.
Es fällt mir schwer, die Wanderung einfach fortzusetzen, ohne dieses Paradies genossen zu haben. So beschließe ich, diesen Tag hier zu verbringen und nur ein paar Ausflüge in die nähere Umgebung zu unternehmen.
Der späte Nachmittag sollte aber auch diesen Hort der Ruhe und des Einklangs zu einem Platz des geschäftigen Treibens werden lassen. In wenigen Stunden werden verschiedene Reisegruppen ihre Kundschaft abladen.
Eine der ersten Gruppen, die am Bir Wahed eintrifft, ist eine italienische Reisegruppe aus dem 380 km entfernten Marsa Matru kommend. Sie befindet sich auf einem Eintagestripp. Die Anweisung des Tourguides: Ihr habt nun fünf Minuten Zeit, Photos zu schießen.
Pünktlich, nach fünf Minuten fordert der Führer die Truppe zum Einsteigen auf :? Den Touristen steht die Enttäuschung buchstäblich im Gesicht geschrieben.
Es fällt mir schwer, mich aus der Traumlandschaft loszureissen, besonders deshalb, weil sich meine Wanderschaft dem Ende neigt. Auf dem Weg zurück geht es nochmal zum Cold Springs. Ich klettere auf einen der höheren Berge, um ein letztes Mal die beeindruckende Aussicht zu genießen. Ich versuche, das unvermeidliche noch etwas hinauszuzögern...
Auf dem Rückweg stoße ich noch auf zwei weitere Grünflächen. Sie sind ebenfalls das Ergebnis der Bohrungen am Bir Wahed. Auch hierhin reicht noch das Wasser, das am Bir wieder versickert. Allerdings reicht die Menge und die Lage nicht mehr aus, um Seen zu bilden.
Von Siwa kommend sind noch Teile einer alten Piste sichtbar, die noch aus den Zeiten der Ölprospektion stammt. Die alte Trasse führt teilweise über Dünen.
Mir scheint, als wäre heute der heißeste Tag meiner Wüstenwanderung. Auf weiten Strecken gibt es keinen Schatten. Am späten Nachmittag finde ich dieses Mauerstück, das als Wegweiser dienen soll. Endlich: der ersehnte Schatten.
In meinem "neuen" Appartment werde ich meine letzte Nacht in der Wüste verbringen. Noch einmal schweifen meine Gedanken zurück, an den Anfang, wo alles begann. Etwas Wehmut steigt in mir empor über diese Reise, die mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Leider ist das schon das Ende meiner Geschichte. Ich hoffe, dass ich den Einen oder Anderen von dieser Art zu Reisen begeistern konnte. Vieleicht klappt es ja nächstes Jahr wieder :wink:
Viele Grüsse
Alexander