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Sonntag, 18. Oktober 2015, 00:01

Erkrankung wegen defekter Kläranlage im Urlaubsort - Reiseveranstalter zu Rückzahlung des Reisepreises und Schadensersatz verurteilt

Die Situation rund um den Badeurlaub in der Türkei zwischen Evrenseki und Kumkoy wurde auch bei den Travelamigos ausführlich diskutiert:

Aktuelle Situation am Fluss zwischen Evrenseki und Kumköy

Jetzt hat das Landgericht Köln unter Az 2 O 56/15 am 24.08.2015 ein bemerkenswertes Urteil gefällt:

Obwohl die Beklagte der Ansicht war, dass ihr ein sogenanntes Umweltrisiko nicht angelastet werden kann, entschied das Gericht, dass auch ein Reisemangel vorliegen kann, wenn er nicht aus dem Einflussbereich des Reiseveranstalters stamme. Der Reiseveranstalter war nach Ansicht der Kammer verpflichtet, wegen der ihm bekannten Zustände vor Ort Reisegäste kurzfristig auf eine andere Region der Türkei umzubuchen.

Und: Aus den Eintragungen in den klägerseitig vorgelegten Internetforen ergibt sich, dass die unzureichenden hygienischen Zustände in der Urlaubsregion bereits Anfang August 2014 zu Magendarmbeschwerden der Urlauber führten.

Das u.a. also vorgelegte Auszüge aus Internetforen in das Urteil der Kammer eingeflossen sind, ist bisher ja oft von vielen Diskutanten in Reiseforen als nicht gerichtsverwertbar dargestellt worden. Insoweit auch bemerkenswert. Es gibt noch mehr Feinheiten zu dem Urteil um den Streitwert von mehr als 10.000 €, darum kann dieses hier nachgelesen werden:

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln…l_20150824.html

Ob das Urteil bereits rechtskräftig geworden ist oder sich weitere Instanzen damit beschäftigen, konnte ich aktuell noch nicht herausfinden.
"Wenn die Macht der Liebe über die Liebe zur Macht siegt, wird die Welt Frieden finden"
Jimi Hendrix

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Sonntag, 18. Oktober 2015, 01:14

:danke: und interessant!
Freedom's just another word for nothing left to lose...

3

Sonntag, 18. Oktober 2015, 02:38

...vor allem die lange Überschrift :thumbsup: :kuller:
Freedom's just another word for nothing left to lose...

Sina

Master Amigo

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Wohnort: Neigschmeckt ins Schwabenland

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4

Sonntag, 18. Oktober 2015, 11:43

Die Argumentation mit Internetforen, in denen schon Anfang August 14 von Magen - Darm - Erkrankungen berichtet wurde, halte ich für etwas dürftig. Dabei kann es sich auch um normale Reisedurchfälle, wie sie bevorzugt bei sehr heissem Klima in Verbindung mit mangelnder Eigenhygiene und/ oder ungegewohnter Ernährung oder einfach auch nur so entstehen können, handeln.

Die Bezeichnung "Gülleabfluss" ist schlichtweg falsch und unsachlich.

Schwierig, da irgendwem irgendwas nachzuweisen.

Was aber imho nicht ideal war, war die Kommunikation seitens der Reiseveranstalter. Dass der Defekt der Kläranlage nicht umgehend von den Behörden an Einwohner, Hoteliers, Reiseveranstalter kommuniziert wurde, sondern erst, nachdem ungeklärte Abwässer über den Ilica - Fluss ins Meer gelangt waren, war der erste Fehler. Urlauber und Einheimische sind krank geworden, die Erkrankung übertrug sich in Folge vermutlich immer weiter von Mensch zu Mensch. Angesichts der Temperaturen hatten Bakterien ein leichtes Spiel. Die Reiseveranstalter haben ihre Gäste meiner Meinung nach nicht ausreichend informiert. Es reicht nicht, zu sagen: "Ok, Kläranlage war kaputt, jetzt ist sie wieder heile und die Wasserwerte sind ok, Ihr könnt im Meer baden.". So ist es ja bei den meisten Veranstaltern gelaufen. Aber den Gästen wurden keine Verhaltensempfehlungen gegeben, wie z. B. verstärkt auf Eigenhygiene (z. B. häufiges gründliches Händewaschen, Handdesinfektion) zu achten, sich langsam an Klima und AI - Buffets zu gewöhnen, sicherheitshalber die Flussmündung zu meiden, etc.. Da liegt m. E. der Hauptfehler. Wobei man auch da durchaus der Ansicht sein kann, dass einem solche Dinge der gesunde Menschenverstand sagt. Wenn man ihn denn hat.

Magen - Darm - Erkrankungen sind auf Reisen immer ein Risiko und ich bin nach wie vor der Meinung und habe es in der fraglichen Zeit auch selbst vor Ort gesehen, dass in vielen Fällen Erkrankungen durch eigene Unvernunft, Rücksichtslosigkeit der Miturlauber (z. B. die "Brötchentatscher" am Buffet - einfach nur widerlich!) und Leichtsinn hervorgerufen wurden. Es ist nunmal keine gute Idee, z. B. seine Kinder im seichten Wasser der Flussmündung spielen zu lassen oder erst einen Streunerhund, der dort geplanscht hat, zu streicheln und sich danach ohne Händewaschen ein Eis in der Waffel zu gönnen. Oder sich nach dem Toilettengang/ vor dem Essen nicht die Hände zu waschen, etc.. Und warum sich manche Leute trotz AI in dieser Hitze beim Frühstück Wurstbrötchen für den Strand schmierten und diese mehr oder weniger diskret in der Strandtaschen verschwinden lassen haben, müsste mir auch mal jemand erklären :pfft:

Ich kann mir jedenfalls nur schwer vorstellen, dass das Urteil rechtskräftig wird bzw. gehe ich davon aus, dass der Veranstalter Revision einlegt.
Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muß oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind. (Kurt Tucholsky)

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Sonntag, 18. Oktober 2015, 12:01

Wenn ich mir das Urteil so durchlese, dann steht in der Urteilsbegründung u.a.:

"Die Beklagte selbst hat als Ursache für die Magen-Darm-Erkrankungen unmissverständlich den Defekt der örtlichen Kläranlage herausgestellt"

Weiter hat der Kläger Abhilfe wegen des Reisemangels beantragt und nicht erhalten obwohl der RV bereits drei Tag vorher Kenntnis vom Defekt der Kläranlage hatte.

Als, zugegeben, juristischer Laie sehe ich jetzt nicht unbedingt weshalb dieses Urteil nicht rechtskräftig werden sollte. Schau mer mal.

Eine Zusammenfassung des Urteils gibt es auch hier.
"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen" (Karl Valentin)

Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »revealmap« (18. Oktober 2015, 12:21)


Sina

Master Amigo

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6

Sonntag, 18. Oktober 2015, 18:11

"Die Beklagte selbst hat als Ursache für die Magen-Darm-Erkrankungen unmissverständlich den Defekt der örtlichen Kläranlage herausgestellt"


Da käme es dann doch sehr auf die Formulierung des Veranstalters an. Weil... so ganz logisch ist es nicht. Einerseits wurde den Gästen vor Ort mitgeteilt, dass die Wasserwerte ok sind (gemäß der Unterlagen, die ich gesehen habe, waren sie es auch) und dann soll plötzlich doch die Kläranlage schuld sein? :denk: Spannend auch, dass in vorliegendem Fall die Kläger erst einige Tage, nachdem der Defekt aufgetreten und offenbar wieder behoben war, angereist sind und somit, wenn man das Ganze weiterspinnt, gar nicht mehr unmittelbar davon betroffen waren :denk: Was natürlich nicht auschließt, dass sie sich bei Miturlaubern, gegenseitig oder sonstwie angesteckt haben. Die Möglichkeiten bei Durchfallerkrankungen sind bekanntermaßen ja vielfältig und die konkreten Ursachen nur selten konkret nachweisbar.

Man kann gespannt sein, wie es weitergeht. Letztendlich könnte dieses Urteil im Umkehrschluss auch darauf hinauslaufen, dass die Fürsorgepflicht der Veranstalter sich auch auf Einrichtungen der örtlichen Infrastruktur wie z. B. Kläranlagen bezieht :denk: Wie hätte das in dem Fall funktionieren können? Türkei ist nicht Deutschland, der Defekt wurde ja selbst der eigenen Bevölkerung erst mitgeteilt, nachdem er behoben war...
Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muß oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind. (Kurt Tucholsky)

7

Montag, 16. November 2015, 20:20

Die Beklagte hat schlichterdings unklug argumentiert.
"Keiner Beurteilung bedarf an dieser Stelle, ob zugunsten der Kläger ein
Anscheinsbeweis dahingehend streitet, dass die Magen-Darm-Erkrankungen
auf dem Defekt der örtlichen Kläranlage beruhen. Die Beklagte selbst hat
als Ursache für die Magen-Darm-Erkrankungen unmissverständlich den
Defekt der örtlichen Kläranlage herausgestellt
."

Sie hätte den Defekt der Kläranlage als Ursache der Erkrankung bestreiten können, anstatt den Sachverhalt einzuräumen und als außerhalb ihrer Sphäre zu erklären.
Damit wäre die Darlegungspflicht auf die klagende Partei übergegangen und hätte diese sich unter den soweit bekannten Bedinungen damit sicherlich einigermaßen schwer getan.

Tatsächlich erstaunlich ist dieser Abschnitt der Begründung:
"Die Beklagte hat gegenüber den Klägern eine aus dem Reisevertrag
folgende Nebenpflicht verletzt, indem sie sich nicht ausreichend über
die Zustände vor Ort informiert hat und die Kläger kurzfristig auf eine
andere Region der Türkei umgebucht hat. Aus den Eintragungen in den
klägerseitig vorgelegten Internetforen ergibt sich, dass die
unzureichenden hygienischen Zustände in der Urlaubsregion bereits Anfang
August 2014 zu Magendarmbeschwerden der Urlauber führten. Eine Häufung
von Durchfallerkrankungen war jedenfalls seit dem 4.8.2014, also schon
10 Tage vor Anreise der Kläger, aufgetreten. Hätte die Klägerin sich
hinreichend informiert über aktuelle Probleme in der Region, hätte sie
schon Anfang August Kenntnis über die Lage vor Ort haben müssen. Es wäre
ihre Pflicht gewesen, die Kläger an einem alternativen Ort
unterzubringen. Die entstandenen Schäden (Rezeptzahlungen, Taxikosten,
Hotelmehrkosten) beruhen kausal auf der Pflichtverletzung der Beklagten."
Hiermit wird die Informationsquelle Beschwerden in Internetforen als konkludent bewertet für einen Anspruch auf Umbuchung?

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Ob Rechtsmittel bereits eingelegt wurden ist mir leider nicht bekannt.
Alle Nächte sind gleich lang ... aber unterschiedlich breit! :D