MO, 18.7. Nach dem Frühstück geht's im Stau nach Agra. Unser Fahrer hat die Nacht in der Hotellobby am Sofa verbracht und ist genau so fit wie wir. Und das ist auch wichtig, denn der Straßenverkehr hier hat's in sich. Unglaublicher Weise werden wird in den nächsten vier Tagen keinen einzigen Verkehrsunfall, auch keine Fastkollision sehen. Und ich hab genügend Zeit auf der Rückbank unseres Tata
darüber nachzudenken, warum das so ist. Ich glaube, das Geheimnis ist, dass hier eine unglaubliche Rücksichtnahme herrscht. Wenn einer die Spur wechselt, dann wird das schon einen Grund haben. Deswegen wird keiner aggressiv, ich hab niemanden über einen anderen Verkehrsteilnehmer schimpfen gesehen, oder dass einer Gas gibt, um einem anderen eine Lücke zuzumachen. Was man hier absolut nicht sieht, sind hektische Richtungs- oder Geschwindigkeitsänderungen. So lange es irgendwie möglich ist, bewegen sich alle. Langsam, aber sicher. Panta rhei, alles fließt. Dieser Ausspruch wird einem griechischen Philosophen unterstellt, ich hätt's eher einem indischen Verkehrsexperten zugeschrieben.
Auf der Fahrt nach Agra gelangen wir anfangs kaum in ländliches Gebiet. Eine Stadt geht fließend in die nächste über. Und auf dem National Highway Nr. 2 ist tatsächlich die Hölle los: Pferdefuhrwerke, Ochsen- und Kamelkarren, Tatas und Audi Q7, Tuk-Tuks, hochbeladene Lastwagen, Motorräder und Roller teilen sich das Asphaltband. Und am Mittelstreifen grasen Kühe.
"Here is big temple, you can make photo", weist uns der Driver auf die Attraktion am Straßenrand hin. Wenn der wüsste, dass das Gewusel links und rechts der Straße für uns Attraktion genug ist. Frauen, die schwere Lasten auf dem Kopf balancierend zum Markt gehen, die Menschen in ihren bunten Gewändern, das Tuk-Tuk mit den 150 Hühnern an Bord, die Vespa, die gerade am Straßenrand ausbrennt.
Auf der Fahrt dann kurz vor Agra noch ein Stopp, und zwar am Akbar's Tomb (dem Mausoleum von Agbar dem Großen):
"First lunch oder first hotel?", fragt uns der Driver mitten im Verkehrsgewühl von Agra. Die Aussicht auf eine Dusche ist verlockend, aber wenn ein indisches Curry und ein kaltes Bier lockt, dann kann die Körperpflege warten. Es geht wie gestern in eines der gehobeneren Restaurants, offensichtlich eine Vorgabe des Veranstalters. Der Laden ist besser auf die Bedürfnisse und Mägen der verweichlichten westlichen Touristen zugeschnitten. Das Essen ist reichlich und lecker, wir müssen jedoch eine scharfe Sauce bestellen, hier kocht man eindeutig zu mild. Wie denn die Sauce heißt, wollen wir wissen.
"Hot sauce", kriegen wir zur Antwort. Aha!
Nach dem Essen geht's ins
Hotel Mansingh Palace. Das hat einen Stern mehr als das Clarks Inn in Delhi, und das zurecht. Sehr netter Laden.
Nach einer kurzen Ruhepause sind wir schon wieder auf Achse. Wir nehmen einen lokalen Guide an Bord und besuchen auf unseren Wunsch zuerst Agra Fort. Diese Befestigungs- und Palastanlage diente im 16. u. 17. Jhdt. den Mogulkaisern als Residenz. Akbar der Große errichtete sie überwiegend aus rotem Sandstein. Shah Jahan (gesprochen Schaschahan), der Erbauer des Taj Mahal erweiterte die Anlage mit weißem Marmor. Shah Jahan verbrachte hier auch seine letzten Lebensjahre, er wurde von seinem Sohn und Nachfolger wegen seiner Verschwendungssucht entmachtet und arrestiert. Zumindest konnte er an seinem Lebensabend die Aussicht auf den Taj Mahal, das Grabmal seiner Lieblingsfrau, genießen. So wie wir jetzt.
Und dann - endlich - geht's zum Taj Mahal. Oft ist es ja so, dass eine sogenannte Sehenswürdigkeit, wenn man dann davor steht, nicht halten kann, was einem zuvor versprochen wurde, oder was man sich erwartet. Aber hier geht's nicht um Manneken Pis oder die Mona Lisa. Auf den Taj Mahal trifft das nicht zu.
Jeder Versuch, die Vollkommenheit und Erhabenheit dieses Gebäudes zu beschreiben oder auf Fotografien festzuhalten, ist zum Scheitern verurteilt. Es scheint, als würde Mumtaz Mahals Grabmal sämtliche Schönheit im Umkreis mehrerer Kilometer aufsaugen und auf sich konzentrieren. Und da sind auch wieder die für Indien typischen Kontraste: Die riesige Weite der Gartenanlage steht in geradezu groteskem Widerspruch zu dicht aneinander geduckten Häusern vor der Palastmauer. Und der weiße Marmor des Taj kontrastiert mit dem bunten Chaos außerhalb.
"Bright things in India are very bright", fällt mir Jimmy wieder ein.
Bildbeschreibung: Das erste Bild zeigt eines der vier Eingangstore, das letzte die "Hinteransicht" in Richtung Yamuna River. Hier sieht man schön, dass sich die Türme vom Taj wegneigen, damit sie im Fall eines Erdbebens nicht das Gebäude zerstören.
Bemüht haben sich einige, diesen Anblick in Worte zu fassen. Irgendjemand hat mal gesagt, der Taj Mahal sei
ein lebendig gewordenes Gemälde. Der Dichter Rabindranath Thakur meinte: "
Der Taj Mahal erhebt sich über dem Flussufer wie eine einsame Träne an der Wange der Zeit." Und Bill Clinton beschrieb es in seinen Memoiren als
"...das vielleicht schönste Bauwerk der Welt. Ich hasste es, diesen Ort verlassen zu müssen".
Apropos "verlassen": Rashim, unser Guide, erzählte uns, dass es wegen des Clinton-Besuchs eine polizeiliche Anordnung gab, die Häuser nicht zu verlassen. Was sich Clinton wohl gedacht hat, als er durch menschenleere Straßen gefahren wurde?! Mich bestärkt diese Anekdote darin, dass unsere Politiker in einer Scheinwelt leben, und gar nicht wissen, wie die Realität aussieht.
Und die Realität holt auch uns rasch wieder ein, als wir von Rashim in eine Werkstätte gebracht wurden. Hier werden Halbedelsteine in Marmor eingelegt, mit den selben Werkzeugen wie zu Zeiten der Errichtung des Taj Mahals. Das ist interessant, aber eine Marmor-Tischplatte mit indischen Ornamenten passt weder in meine Wohnung noch in mein Budget. Ich erkläre dem Verkäufer, dass - so sehr ich die Arbeit der Kunsthandwerker respektiere - ein Kauf für mich nicht infrage kommt. Aber natürlich ist man auch hier flexibel, für weniger Betuchte gibt's indische Tücher, Schals, Holzschnitzereien, T-Shirts, usw. Wir erwerben ein paar Schals und zwei Ganesh-Statuen aus Marmor. Eine Ganesh-Figur wollte ich schon länger haben, die Gottheit mit dem Elefantenkopf steht für Intelligenz und Weisheit und wird angebetet, wenn man Glück für eine Unternehmung oder einen Weg braucht. Er ist somit auch der Gott der Reisenden. Außerdem isst er gerne und mag vor allem Süßigkeiten.
Zurück am Hotel verabschieden wir uns von Rashim und vereinbaren mit dem Fahrer einen morgendlichen Besuch des Taj Mahal. Ich frag ganz vorsichtig, aber für ihn ist es kein Problem uns im Morgengrauen in den Park am anderen Ufer des Yamuna River zu fahren.