Namibias seltsames, nord-östliches Anhängsel wurde nach einem deutschen Reichskanzler benannt, der übrigens niemals vor Ort war: Graf Leo von Caprivi, der das kaiserliche Kanzleramt von März 1890 bis Oktober 1894 innehatte und gleichzeitig preußischer Ministerpräsident war.
Reichskanzler Otto von Bismarck, obwohl selbst kein Kolonialfreund, hatte 1884/85 den Vorsitz der Konferenz der Kolonialmächte in Berlin geführt. Das deutsche Streben nach eigenen Kolonien war jedoch nicht mehr aufzuhalten und möglicherweise erlag Bismarck schließlich der Versuchung, im Konzert der Kolonialstaaten ein Wort mitzureden. Durch Gebiete, die noch kein Weißer betreten hatte, wurden Grenzen mit dem Lineal gezogen, ungeachtet der Frage, ob hier einheimische Territorien und Ethnien willkürlich zerschnitten wurden.
So entstand auch die schnurgerade verlaufende Grenzziehung zwischen dem deutschen Südwestafrika und dem britischen Betschuanaland, dem heutigen Botswana. Damit waren die Grenzen der deutschen Kolonie Südwestafrika gezogen.
Erst unter Bismarcks Nachfolger Leo Graf von Caprivi erfolgte noch im deutsch-britischen Kolonialausgleich die Gebietserweiterung um den nordöstlichen Gebietsstreifen der sich fast bis zu den Victoria Fällen (s.
Simbabwe: Victoria Falls National Park) erstreckt.
Er hätte als Landbrücke zum
Sambesi und damit als Verbindung zur deutschen Kolonie Ostafrika (Tansania) dienen sollen, doch war in Unkenntnis der örtlichen Gegebenheiten die Schiffbarkeit des Flusses vollkommen falsch eingeschätzt worden. Niemand dachte z.B. an die Unüberwindbarkeit der berühmten Wasserfälle:
Simbabwe: Victoria Falls National Park
Die Zustimmung der bisherigen Kolonialmächte und insbesondere Englands zu einer deutschen Kolonie Südwestafrika beruhte allein auf der Tatsache, dass dieses Land in strategischer und wirtschaftlicher Hinsicht als vollkommen bedeutungslos eingeschätzt wurde. Der Streifen, der zwischen Botswana, Simbabwe, Sambia und Angola liegt, wurde fortan „Caprivi-Zipfel“ genannt.
Der in Charlottenburg bei Berlin geborene Graf Leo von Caprivi machte im Militär Karriere und suchte als Kanzler den Ausgleich mit Großbritannien. Die nach Kulturkampf und Sozialistengesetzen bestehenden gesellschaftlichen Konflikte suchte er zu befrieden, womit sich der Protestant die Feindschaft von Großagrariern und Nationalisten zuzog.
Am Abend seines Rücktritts verbrannte er seine privaten Papiere und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Die letzten Lebensjahre verbrachte er bei seinem Neffen auf Gut Skyren.
Die Region Caprivi ist das Ergebnis des sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrags zwischen Briten und Deutschen, der im Juli 1890 ausgehandelt war, sechs Jahre nach der ersten deutschen Flaggenhissung in Angra Pequena, später Lüderitzbucht (s.
Reisetipp Lüderitz Allgemein) , wonach die Kolonialgrenzen des Schutzgebiets Deutsch-Südwestafrika (DSWA), wie es damals hieß, festgelegt wurden.
Deutsche koloniale Interessenträger wollten einmal Zugriff zum Fluss
Sambesi haben, von dem sie annahmen, dass er über weite Strecken schiffbar sei, und zum Anderen bestand die Absicht, durch den Landzipfel in die Nähe von Deutsch-Ostafrika zu gelangen, wenn denn eine direkte geographische Verbindung von englischen Belangen schon blockiert war.
So hatte England bei der Aushandlung der Ostgrenze von DSWA schon dafür gesorgt, dass die deutsche Besitznahme, bzw. das Schutzgebiet, nicht bis an die damalige in England unbeliebte Burenrepublik Transvaal von Präsident Paul Kruger grenzte, indem Großbritannien schnell das Protektorat Betschuanaland, heute Botswana, ausrief, denn in London bestand die Vorstellung, dass es zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Kairo eine ununterbrochene britische Landbrücke geben müsse.
Da kam die bis dahin britische Insel Helgoland vor der Elbemündung in der Nordsee ins Spiel. Sie war bis 1890 als englischer Besitz ein Dorn im Fleisch deutscher strategischer Marine-Interessen. In einem "einvernehmlichen" Gebietsaustausch, bei dem die ostafrikanische Insel Sansibar aus deutschem Besitz an England ging und Helgoland sowie der Caprivi-Zipfel unter deutsche Hoheit kamen schufen vorläufig Ausgleich.
Das deutsche Barotseland, wie der Zipfel zunächst genannt wurde, blieb vom kaiserlichen Gouvernement in Windhoek wegen seiner geographischen Ferne und der Abwesenheit jeglicher Wege jedoch rund 19 Jahre unbeachtet, so dass das Wasser- und wildreiche Gebiet Freiraum für Wilderer und Gangster bot.
Es dauerte 18 Jahre, bis der erste Offizier, Hauptmann Kurt Streitwolf von Gobabis aus, in einer beschwerlichen Expedition zu dem Landzipfel aufbrach, um als kaiserlicher Resident am
Sambesi einen einfachen Verwaltungsposten zu gründen, der die deutsche Hoheit demonstrieren sollte. Erst 1908 hatte der Reichstag dazu die Mittel bewilligt.
Dieser Flecken im fernöstlichen Caprivi trug bis in das Jahr 2013 noch den Namen Schuckmannsburg, benannt nach dem damaligen deutschen Gouverneur von DSWA, Bruno von Schuckmann. Als am 1. August 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, erreichte die Kunde Schuckmannsburg erst erheblich später. Die Deutschen wurden von ihren englischen Berufskollegen auf der nordrhodesischen (Sambia) Uferseite in Kenntnis gesetzt, dass in Europa der Krieg ausgebrochen war.
Am 21. September 1914 kam es zu einer "galanten Übergabe" der Polizeistation Schuckmannsburg an die britisch-südafrikanische und nordrhodesische Polizei ohne jeglichen Schusswechsel. Je eine Einheit der Britisch-Südafrikanischen Polizei und der Nordrhodesischen Polizei nahmen in einer gemeinsamen Aktion die Residentur Schuckmannsburg am
Sambesi ein. Hauptmann von Frankenberg ergab sich ohne Widerstand.
Die zwei einzigen weißen Besatzungsmitglieder der Station, Hauptmann von Frankenberg und Sergeant Fischer, blieben bis zum Kriegsende in Livingstone interniert - in der Ortschaft, über die vor Kriegsausbruch auch die alleinige Verbindung zu Außenwelt hergestellt wurde.
Ab dem 23. September war die Nordrhodesische Polizei für die Verwaltung des Caprivizipfels zuständig. Im Oktober 1914 wurde Hauptmann Eason, der oberste Beamte von Ngamiland in Britisch-Betschuanaland, zum Verwalter des Caprivi ernannt. Bereits Ende November wurde Eason von Hauptmann Surmon abgelöst. Dessen Nachfolger wurde drei Jahre später Hauptmann Garbett.
Als die Union von Südafrika die deutsche Kolonie als Mandatsgebiet übernahm, wurde dem Caprivizipfel so wenig Bedeutung beigemessen, dass seine Verwaltung dem damaligen britischen Protektorat Betschuanaland (Botswana) überlassen wurde.
Nach dem 1. Weltkrieg wurde der Caprivi-Zipfel von der britischen Kolonialverwaltung in Betschunaland und später aus Pretoria, und nicht aus Windhoek, verwaltet. Die wirkliche Eingliederung zu Namibia fand erst während der späten Apartheidszeit und während des Buschkriegs statt, als Südafrika eine Fernstraße aus der Region Kavango und einen Flugplatz in der Nähe des neuen Verwaltungssitzes Katima Mulilo baute.
Der Caprivi erstreckt sich über rund 450 km vom
Okavango nach Westen bis zur Insel Impalila. An seiner schmalsten Stelle misst der "Zipfel" 32 km und an der breitesten 100 km. Nach dem 1. Weltkrieg haben britische Behörden den Caprivi-Zipfel durch parallele Begradigung des Korridors zugunsten Britisch-Betschuanalands, heute Botswana, beträchtlich verkleinert.