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Dienstag, 19. Oktober 2010, 20:27

Ägypten für alle

Ägypten verstärkt seine Bemühungen ein barrierefreies Urlaubsland zu werden:

urlaub-im-web.de/news-einzeln/1/oktober/201000002277/aegypten-barrierefreier-tourismus.html

Sternedieb

Master Amigo

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Wohnort: Im wilden Süden....

Beruf: Semsakrebslor

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2

Samstag, 6. November 2010, 14:24

Aber das kann es doch nicht sein.

Der Artikel spricht von Ägypten für alle und nennt dann gerade mal 3 Hotels mit barrierefreien Zimmern . :shocked:
Alles immer ohne Gewähr, nicht dass man auch als Forenuser irgendwann als Terrorist verhaftet wird.

3

Samstag, 6. November 2010, 14:47

Die drei Hotels beziehen sich auf Kairo. In Luxor sind zwei genannt und in Hurghada eins.

Mir fallen auch noch ein paar (teilweise) barierefreie Hotels ein.

In Assuan gibt es drei, zwei liegen auf einer Insel und eins in "leichter" Hanglage. Da muß man erstmal mit dem Rolli unter dem Hintern hinkommen.

In Luxor gibt´s auch noch ein paar mehr. Da scheitert es dann meistens am Badezimmer, daß nicht rollstuhlgerecht ist.

In Safaga wüsste ich auch noch eins, daß weitestgehend barrierefrei ist, sogar mit Rampe ins Meer.

Grundsätzlich finde ich es aber schon mal bemerkenswert, daß man sich in einem Land wie Ägypten, über so etwas Gedanken macht.

Ganz ohne Begleitung ist das Land jedoch nicht zu bereisen. Da passieren die abenteuerlichsten Dinge.

Ich erinne mich gerne an eine Ankunft in Luxor, bei der mein Rolli futsch war. Machte jetzt in meinem Fall nicht ganz so viel aus, da ich ja wieder recht mobil bin. Also, erstmal Ruhe bewahren und bei der Passkontrolle angestellt. Plötzlich sehe ich, wie ein älterer Herr durch den Flughafen geschoben wird. Ich zu meinem Mann. "Guck mal, der Rolli sieht so aus wie meiner! - Ha, DAS IST MEINER!" Ich habe meinen Mann an der Passkontrolle stehen lassen und bin hinter dem Herrn mit dem Rolli hinterher. Der wurde außenrum, um die Kontrolle rumgeschoben (so sind sie halt!). Der freundliche Ägypter, der den Rolli (meinen) schob, war auch gleich begeistert als er mich sah und drückte mir den Rollstuhl nebst Inhalt in die Hände.

Er war der Meinung, es handelt sich um meinen Vater. Es war ihm nicht zu vermitteln, daß MIR nur der Rollstuhl gehört, der ältere Herr aber nicht. Alte Menschen gehören in den Rollstuhl, jüngere eben nicht. Ist doch ganz klar. Jedenfalls gab´s einen Riesenwirbel, weil ich den guten Mann einfach nicht haben wollte, sondern nur den fahrbaren Untersatz.

Es stellte sich heraus, daß der Herr (Däne, gut über 80 und tüddelich) mit seiner Tochter fast zeitgleich aus Dänemark mit uns angereist war. Die Tochter war ganz begeistert, daß man in Ägypten sofort mit einem ganz modernen Rollstuhl parat stand, um ihren Vater abzuholen. :D Woher sollte sie auch wissen, daß die Mehrheit der Rollis in Ägypten den Albert Schweitzer noch persönlich kennengelernt haben? :ironic:

Nachdem wir (unter den Augen der staunenden Ägypter) dieses Mißverständnis unter uns aufgeklärt hatten, übernahm die dänische Tochter ihren Vater (ohne Räder) und ich meinen Rolli. :patschi:

Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von »angie« (6. November 2010, 14:51)


4

Samstag, 6. November 2010, 15:06

Super überrascht war ich über das Handling am Flughafen von Kairo. :thumbsup:

Da wurde ich gleich, direkt an der Maschine von einer sehr resoluten Dame zusammen mit meinem Rolli in Empfang genommen - und reingesetzt, obwohl ich gar nicht wollte. Mein Mann durfte dann alleine los und sie schob mit mir ab zum Fahrstuhl. Jetzt muß man dazu sagen, daß in Ägypten Fahrstühle so eine Sache sind und bei uns der TÜV einen Herzanfall kriegen würde. :D

Jedenfalls, dieses Exemplar war, wie so viele, ziemlich abenteuerlich. Statt eines Knopfes, schauten ein paar lose Kabel heraus. Das macht aber gar nix, denn die Aufzüge verfügen in diesem Fall über Personal. Man drischt gegen die Aufzugstür und brüllt Mohammed, Achmed oder so ähnlich - und wie von Zauberhand setzt sich der Aufzug dann in Bewegung. Das war hier nicht anders.

Die Dame und ich mit Rolli rein in den Aufzug und dem Fahrstuhlführer die gewünschte Ebene genannt und schon ging´s los. Unten angekommen hat sie dann meinen Mann dazu zitiert und uns direkt zum Visakauf und zur Bank, zur Passkontrolle und sogar bis zum Gepäckband begleitet - UND OHNE BAKSCHISCH!

Erst als wir im Kleinbus saßen, hat sie sich von uns verabschiedet. Ich fand und finde das sehr bemerkenswert.

5

Samstag, 6. November 2010, 15:40

Richtig interessant wird es, wenn man sich im Straßenverkehr, womöglich noch zu Fuß bzw. per Rollstuhl fortbewegen möchte.

Nicht nur das Fahrverhalten der Ägypter ist... ähm, nunja,...unkonventionell. Jeder fährt mit jeder Art von Fahrzeug, überall, zu jeder Tages-und Nachzeit und möglichst ohne Beleuchtung. Die Boardsteine sind schwindelerregend hoch und die Bürgersteige, falls vorhanden, voller Löcher und Stolperkanten.

Am besten man läuft bzw. fährt irgendwie über die Straße - zusammen mit den diversen Fahrzeugen (versteht sich!). Sollte man tatsächlich mal auf den Bürgersteig müssen, keine Panik, hier zeigt sich das legendäre Improvisationstalent der Ägypter. Irgenwer hält den Verkehr auf und wenn man Glück hat, kommt auch noch ein Polizist dazu. Der Rolli wird über die ca. 1/2 Meter hohe Kante gehoben und geschoben, unter Beteiligung von mindestens 6 engagierten, diskutierenden Ägyptern. Ist das Werk vollendet hauen alle einem auf die Schulter und brüllen "Welcome to Egypt!"

Sollte man beim Rollifahren mal in ein Loch oder vor eine Kante knallen und aus diesem herauskatapultiert werden, ist das auch nicht so schlimm. Sofort bildet sich eine Menschentraube um einen herum, die hilfsbereit den Rolli wieder aufrichten, mit 8 Mann an einem rumzerren, sich nach dem Befinden erkundigen, "Hospital" schreien, sich für die schlechten Straßenverhältnisse entschuldigen und einen dann endlich wieder in den Rolli lassen. Natürlich laufen sie besorgt noch ein Stückchen mit und vergewissern sich, damit auch WIRKLICH alles in Ordnung ist.

Treppen zu überwinden ist auch relativ problemlos zu gestalten. Es bildet sich sofort wieder die berühmte Menschentraube und alle wollen helfen und anpacken. Wenn man sich dann, so wie in meinem Fall, selbständig aus dem Rolli erhebt und sich anschickt die Treppen zu betreten, reissen sich mehrere Personen darum, den Rollstuhl tragen zu dürfen. Der Rest versucht sich in Hilfestellung beim Treppen steigen. Jeder will mal die Hand halten. Mein Mann darf dann den Rucksack tragen und hinterher dackeln.

Taxifahren ist auch überhaupt kein Problem. Irgendwie wird man reinverfrachtet. Allerdings muß man darauf achten, daß VOR dem Türzuschlagen auch alle Beine drin sind! Der Rolli kommt aufs Dach wird dort von mehreren "sachkundigen" Ägyptern angebunden und braust mit einem durch die Gegend. Am Ziel angekommen, stürzen sich sofort wieder mehrere selbsternannte, sachkundige Ägypter auf das Gefährt, laden den Rolli ab, reißen die Tür auf, zerren an einem rum, brüllen "Welcome to Egypt" und schon sitzt man wieder in seinem Rollstuhl, den natürlich gleich wieder mehrere schieben wollen. :ironic:

6

Samstag, 6. November 2010, 19:12

:patschi: :kuller: Gut beschrieben, ich habs direkt miterlebt. :patschi:
Ehrlichkeit verlangt nicht, dass man alles sagt, was man denkt.
Ehrlichkeit verlangt nur, dass man nichts sagt, was man nicht auch denkt.

Helmut Schmidt

Sina

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7

Samstag, 6. November 2010, 22:07

Angie, :danke: für Deine Beschreibungen - besser kann man es nicht formulieren :thumbsup:

Ägypten ist was ganz Eigenes und hat noch viel aufzuholen - statt einer Cola Light bekommt man da durchaus mal normale Cola oder normale Cola mit Soda gemischt, was z. B. für Diabetiker in einem Desaster enden kann...

Aber Hilfsbereitschaft und unglaubliche Improvisationskünste findet man überall...
Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muß oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind. (Kurt Tucholsky)

8

Sonntag, 7. November 2010, 00:05

Auch bei Allergikern ist da größte Vorsicht geboten.

Wir hatten schon öfter Leute in Reisegruppen dabei, denen zu Hause gesagt wurde: Alles kein Problem! Wir geben dem Veranstalter Bescheid.

Aber man kennt dort (weitestgehend) keine Laktoseintoleranz oder Glutamatunverträglichkeit. Da weiß der (Hobby) Koch überhaupt nichts mit anzufangen. Da sollte man darauf vorbereitet sein, sich notfalls ein paar eigene Produkte mitzubringen und sich von Grünzeug am Buffet zu ernähren zu müssen.

Man findet es ja schon exotisch, wenn die Touristen Vegetarier sind. Obwohl sich die Mehrheit der Ägypter Fleisch selbst nur gelegentlich leisten können. Fleisch bedeutet Reichtum und wenn jemand so reich ist wie wir und dann fleischlos ißt, so hält man das für ziemlich "seltsam".

Sina

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9

Sonntag, 7. November 2010, 22:49

Stimmt, Lebensmittelallergien und Diabetes sind in Ägypten weitgehend unbekannt. So gut wie kein Ägypter leidet darunter. Das sind Krankheiten der überzivilisierten Welt, Wohlstandskrankheiten... Und Vegetarier werden nur ein Kopfschütteln dafür ernten, freiwillig auf Fleisch zu verzichten. Oft wird man in Restaurants gefragt: "Chicken or meat?" Ist ja beides Fleisch, aber "Chicken" können sich auch die Ärmeren öfter mal leisten und ist somit kein "richtiges" Fleisch, was bei "Meat" (=Rind, Ziege, Lamm...) nicht allzuoft der Fall ist... Selbst in verschiedenen Hotels habe ich auf Speisekarten der Snackbars schon häufig "Vegetarian Sandwich" mit Huhn gefunden :crazy:

Ich bin unter diesen Voraussetzungen sehr, sehr skeptisch, wie Ägypten sich behindertenfreundlicher gestalten will. Zwar habe ich schon in vielen Hotels scheinbar behindertengerechte Zimmer mit allem Schnickschnack gesehen - aber ein Rollstuhlfahrer hätte entweder zunächst Treppen steigen müssen, um überhaupt zum Zimmer zu kommen und durch die Zimmer- und die Badezimmertür hätte er im Rolli in vielen Fälen auch nicht durchgepasst :batsch: :Nope: Wie kann man so bekloppt sein, ein behindertengerechtes Zimmer in der 3. Etage zu bauen, wenn es keinen Lift gibt?!? Und wenn es einen Lift gibt, dann ist die Tür in aller Regel zu schmal für einen handelsüblichen Rolli :batsch: Da bringt dann auch der höhenverstellbare und kippbare Spiegel über dem niedrig angebrachten Waschbecken nichts, genausowenig wie die im Rolli befahrbare Dusche und die schönen Haltegriffe am Klo :Nope:

Letztendlich wird an alles gedacht - aber keiner macht sich einen Kopf darum, wie ein Mensch, der zwingend auf den Rollstuhl angewiesen ist. hinkommt.... :mööööööp: Vor Jahren bin ich mal im Selbsttest im Rollstuhl durch das Le Meredien Makadi gerollert. Der damalige GM war mit dabei und ziemlich schockiert über die vielen Hindernisse, die es im Praxistest in seinem "behindertengerechten" Hotel gab. Mit ein bißchen Improvisation und Hilfestellung ging es einigermaßen, aber ein entspannter Urlaub sieht für mich anders aus...
Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muß oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind. (Kurt Tucholsky)

10

Sonntag, 7. November 2010, 23:18

:batsch: :Nope: Wie kann man so bekloppt sein, ein behindertengerechtes Zimmer in der 3. Etage zu bauen, wenn es keinen Lift gibt?!? Und wenn es einen Lift gibt, dann ist die Tür in aller Regel zu schmal für einen handelsüblichen Rolli :batsch:

:D Das Geheimnis bei diesen Hindernissen heißt: Manpower. Man trägt den Rolli nebst Inhalt hoch.

Das macht man bei den Kreuzfahrtschiffen auch. Wer die Anlegestellen der Nilkreuzfahrtsschiffe kennt, weiß wie abenteuerlich die Ufer gestaltet sind - es ist halt alles in "ägyptischer DIN-Norm". Die Treppenstufen (gerne auch mal lose oder ausgebrochen) haben unterschiedliche Höhen und Breiten und das Treppengeländer wurde oft schon vor den Stufen montiert, damit es dann nur noch Kleinwüchsige benutzen können.

Und der Schiffssteg der zum Ufer führt, reicht oft nicht bis dahin. Also klöppelt man was dran. Erst werden ein paar Böcke aufgestellt und da drüber kommen dann noch Planken - Holz oder schön glattes Metall, weshalb man gerne mal "wegschmiert". Ein Geländer gibt es selbstverständlich nicht! Ein Seil rechts und links, so lang wie der eigentliche Steg und danach kommt - NICHTS.

Diese Konstruktionen sind schon für Normalsterbliche lebensgefährlich, geschweige denn für Menschen mit irgendwelchen körperlichen Handicaps. Aber irgendwie geht es immer. Ich habe noch nie erlebt, daß dort jemand in den Nil gefallen ist.

Bis jetzt haben die noch jeden aufs Schiff bekommen und wieder runter, ob mit Rolli, Rollator oder Stock. Auch wenn mir regelmäßig der Schweiß ausbricht, irgendwie hats immer geklappt.

Sina

Master Amigo

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11

Sonntag, 7. November 2010, 23:32

Aber schön ist das doch für den Betroffenen nicht... Ich bin sehr dankbar dafür, gesund und nicht auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein - nach meinen "Rollstuhltests" in Ägypten nochmal 3x mehr... Wirklich behaglich habe ich mich nicht gefühlt, als ich im Rolli über eigentlich minimale Stufen getragen werden musste oder ein dringendes Bedürfnis hatte und samt Rolli nicht durch die Klotür passte. Ich hatte den Vorteil, daß ich jederzeit aufstehen und laufen konnte - aber was macht jemand, der das nicht kann?
Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muß oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind. (Kurt Tucholsky)

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Montag, 8. November 2010, 00:02

Es gibt zwei Arten von Betroffenen: diejenigen, die nach Möglichkeit ihr sicheres Umfeld nicht mehr verlassen und die Anderen, für die Hindernisse dazu da sind überwunden zu werden und die sich durch körperliche Einschränkungen nicht vom Leben abhalten lassen.

Da ist kein Platz zum "genieren". Wenn der Rolli nicht durch die Klotür passt, dann bleibt er davor stehen und ich setzte so auf die Schüssel um. Zur Not muß mein Mann mit aufs Damenklo - fertig! Es gibt aber auch Reiserollstühle. Da muß man gucken, was für einen selbst geeignet ist.

Geh mal bei uns irgendwo in ein "normales" Krankenhaus - da erlebst Du als Rollifahrer auch das pure Grauen. Die Badezimmer auf den Krankenzimmern sind auch nicht im geringsten rollstuhltauglich, bestenfalls gibt´s eins auf der Station - und da steht dann das Gerümpel drin. Hab ich alles schon erlebt.

Aber man wird im Laufe der Zeit kreativ und entwickelt so seine Techniken. In meinem Umfeld wird meine Behinderung überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Das führt dann schon mal zu absurden Situationen, wenn beispielsweise alles eine Treppe hoch oder runterrennt und ich steh da noch: "Huhu, ich bin auch noch da." Das passiert selbst meinem eigenen Mann.

Oder auch nett, bei unserer letzten Nilkreuzfahrt: als jemand aus meiner Truppe meinte den Anlegesteg zum Schwingen bringen zu müssen, während ich dabei war da irgendwie rüber zu krauchen.

Das muß man mit Humor nehmen, da darf man nicht die Fassung verlieren und schon gar nicht die Leute ständig mit den eigenen Unzulänglichkeiten nerven. Ich bin NICHT der Mittelpunkt der Welt.

Man muß sich natürlich schon etwas besser auf seine Reisen vorbereiten und einiges an Equipment mitschleppen, gerade wenn es in ein unterentwickeltes Land gehen soll.